Mittwoch, 3. Dezember 2008

Absurdes Triptychon - (Zweiter Wurf)

Teil des Lebens, nennt man das

„Was werden Sie am meisten vermissen?“

Sie kann es nicht sagen….. Sie ist nicht in der Lage, es mit einem Wort zu fassen. „Alles“, denkt sie. „Seine Nase.“ Dieses Detail fällt ihr als erstes ein. Es war eine von diesen leicht stupsigen Nasen, von denen man sich wünscht, dass die gemeinsamen Kinder die Veranlagung dafür erben. Zu weit gedacht. Hätte sie doch das Wäre wenn gestrichen. Und gezogen – fester in jeder Sekunde.
Die guten Gespräche, denkt sie, spricht es jedoch nicht aus. Es ist nicht das, was sie in erster Linie fühlt. Auf ihre typisch hilflose Art und Weise lässt sie verlauten: „Ich werde seine Umarmungen vermissen.“ Sie muss an ihre letzte gemeinsame Nacht denken, die zuweilen eine halbe Ewigkeit zurückzuliegen schien. Für sie war es eine ruhelose gewesen. Sie erinnert sich daran, dass er sie mehrmals fest zu sich heran gezogen hatte und sie jede dieser Umarmungen so sehr genoss. In jemanden hineinkriechen zu können, in ihn, das hatte sie sich an dieser Stelle gewünscht.

Fragen Sie mich, was ich nicht vermissen werde, denkt sie… LOS !!!!!– Fragen SIE! Denn nur so ist loslassen möglich….
“Warum ist die deutsche Flagge schwarz, rot, gold gefärbt? Warum bist du so sicher, dass es Auschwitz gab?“, sie hört ihn die Fragen in ihr Ohr schreien.
Sie weiß es nicht. Sie weiß es nicht. Sie beginnt für eine kurzen Moment zu zweifeln.
„Hör auf. Beruhige dich“, bittet sie ihn. Er verzieht höhnisch das Gesicht. „Nichts weißt du. Nichts.“
Später liegt sie lange darüber wach. Fragte sich nach Sinn und Unsinn dieser Unterhaltungen, dieses Geschreis. Um Nichts. Um Dinge, die nichts dazu beitragen, dass Menschen sich mögen. Für ihn waren diese Fragen alles. Sie fand seine Sicht der Dinge bestürzend.
Durfte sie ihn deswegen nicht lieben? All die Hilflosigkeit steigt in ihr auf. Er war unnahbar. Belehrend. „Geh weg, geh weg. Du machst mich krank….“ Sie fühlt sich bedrückt.

Sie versucht sich auf die Frage zu konzentrieren. Ihre Gedanken hängen wieder an dieser letzten Nacht. Sie mussten früh aufstehen, viel zu früh. Sie erinnert sich an den letzten Kuss. Seine leuchtende Augen und wie er sie mit einer Leichtigkeit auf sich zog.
Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass Tränen in ihre geschlossenen Augen treten: „Ich werde diese vertrauten Momente vermissen.“ Sie fühlt sich danach, die Decke, die ihren Oberkörper und ihre Beine bedecken über das Gesicht zu ziehen und sich zur Seite zu drehen. Sie will nicht darüber nachdenken, was ihr in Zukunft nicht mehr zustehen wird.

„Was tut Ihnen am meisten weh?“

Ihre Antwort ist keine, über die sie länger als eine Sekunde sinnieren müsste. „Es ist so schmerzhaft, dass er mich nicht in seinem Leben haben wollte. Ich wollte ihn so unbedingt in meinem.“






Vorhersehung

„But everything looks perfect from far away…“

Das laute Partygetöse drang noch an ihr Ohr, als sie die knarrenden Treppen hinaufstieg. Sie erinnerte sich an den Abend, als sie lange auf eben jener gesessen hatte und alles so perfekt schien. Natürlich hatte sie mich im Vorfeld dieses abends oftmals gefragt, wie sinnvoll es war an den Ort zurückzukehren. Wie sollte man da Abschied nehmen? Man sollte wahrscheinlich nicht.

Sie öffnete die schwere Glastür, ein Blick in das kleine Badezimmer, in dem sie ihre Zahnbürste nicht mehr vorfand. Das schmerzte einen kleinen Augenblick. Sie entschloss sich weiterzugehen, konnte bereits das große Zimmer erblicken. Es hatte sich nichts verändert. Nur ihre Zaghaftigkeit mit diesen Räumen war neu.

Sie öffnete die Tür rechts, ganz am Ende des Flures. Es fiel kein Licht durch das große Fenster, es war von jeher ein dunkler Raum. Sie musste tief durchatmen, sich selbst zureden jetzt bloß keine Träne zu vergießen oder auf sonstige Art und Weise schwach zu werden. Sie ging im Zimmer herum und verweilte vor den einzelnen Plätzen, die ihr so vertraut geworden waren.

Sie sah ihn vor sich am großen Schreibtisch sitzen und ihr dabei seine Welt erklären.
Seine Welt….
Stets hatte sie mit großen Augen zugehört. War ihm eine dankbare Plattform der Selbstdarstellung gewesen und hatte nicht gemerkt, dass seine großen Wortblasen leere Floskeln waren. Vom dritten großen Krieg hatte er gesprochen. Dabei alle gängigen Lebensarten verneint. Wozu sie denn nütze seien. Er wüsste was käme. Wüsste es nur zu gut. Sie muss kurz schnaufen. Es hätte an dieser Stelle ein ironisches Lächeln werden sollen. Nur Kopfschütteln kann sie heute diesen Worthülsen noch entgegenstellen. Und die Hoffnung, dass er irgendwann verstummen würde, wenn er realisiert, dass alle Zuschauer längst den Saal verlassen haben.

Sie sah ihn seine Wäsche schwungvoll in den Schrank werfen, dessen Tür immer geöffnet war. Sie sah das glückliche Paar auf seinem Bett. Kuschelnd, lachend, streitend. Sie roch ihn.

„Lassen sie den Schmerz zu“, hatte sie gesagt.
Aber es zulassen heißt, es erneut zu durchleben......














Intuition und Wahrheit

Im ersten Moment kam sie sich beinahe lächerlich dabei vor, ihm die Wahrheit an Hand eines Frauenromans zu erklären, der sie einst so beschäftigt hatte. Dennoch gab es nach ihrem Erkenntnisstand niemanden, der gleiches schon einmal derartig treffend formuliert hätte....

Die Geschichte ist schnell erzählt. Es handelt sich um eine Frau, die ihr Leben lang eine gewisse Intuition bezüglich einer Wahrheit verspürte. Doch man versicherte ihr wieder und wieder, dass sie sich täusche. Man zermürbte ihre Intuition. Letztlich war sie es jedoch, die sich im Recht befunden hatte. Immer richtig spürte. Die Frau verlor auf alle Zeit den Glauben an ihre Intuition.

Sie erzählte ihm in knappen Worten eben jene Geschichte, denn die Frau war sie.... Sie fühlte was er fühlte, konnte es förmlich spüren, jedoch nicht beweisen. Er definiert sich seine eigene Wahrheit, die wesentlich von der ihrigen abweichen konnte.

Seine simple Frage, ob sie auf einen Tee vorbei kommen möchte, hatte sie erneut in helle Aufregung versetzt. Wie unzählige Male davor, erzählte er ihr von seinen großen Zukunftsplänen. In denen sie keinen Platz habe. Er will Zeit für sich. Zeit großes zu tun. Ansehen tut er sie nicht. Nur ab und an blickt er geradezu herausfordernd über den Rand seiner Teetasse. Sie fühlt sich schwindlig.
„Mir geht es nicht gut. Ich glaube ich bekomme Fieber.“ Er reagiert nicht darauf. Freut er sich? „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, sagt er schließlich und grinst boshaft. Sie nickt. Was soll sie auch sagen?
„Wir sehen uns morgen?“, fragt sie schließlich.
„Ich melde mich.“ Die Tür ist zu.

Sie weiß nicht, wie kann sie auch wissen? Doch das Wissen um dieses unbestätigte Gefühl zermürbt auch ihre Intuition. Wie kann sie sich selbst trauen?

"Wissen Sie", hört sie die Stimme der Frau, die so oft in der Lage war, ihr die Welt zu erklären, "jeder hat ein Recht darauf selbst zu entscheiden, was er preisgibt. Wenn er entscheidet, dass er Ihnen nicht zeigen möchte was er fühlt, dann können SIE das zehnmal fühlen. Und es wird nichts ändern. Es wird nichts ändern."

Sie hat eben jene Worte im Kopf, als sie ihn versucht mit einem festen Blick anzusehen. "Es geht nicht darum, was ich weiß. Es ist nicht von Bedeutung, was du vielleicht wirklich fühlst. Es wird so lange keinen Schritt in eine mögliche Richtung geben, bis meine Intuition nicht zu deiner gefühlten Wahrheit geworden ist."