Montag, 26. Januar 2009

Spontaneität bestraft das Leben oder: Wie ich kurz davor war, den Glauben an mich zu verlieren.

Eines habe ich am 21.01.2009 gelernt: Nicht wer zur spät kommt, bestraft das Leben. Nein, denjenigen der einmal spontan seinen Abend verplanen will, den trifft es besonders hart.

Letzten Mittwoch galt es sich zu entscheiden: Gehe ich zum „Neu – in – Berlin“ – Stammtisch und treffe viele neue, nette Leute oder wage ich mich alleine zum Konzert einer meiner liebsten Sänger. Schwere Entscheidung, dementsprechend lange dauerte die Haderungszeit. Ich beginne mich in jedem Falle um 16 Uhr für beide Fälle fertig zu machen. Frau braucht ja so ihre Zeit.




17: 00 Uhr

Ich grübele. Werde ich an der Abendkasse noch eine Karte bekommen? Wird sich das Geld lohnen? Sollte ich es lieber sein lassen? In der vollkommenen Naivität meiner Person klicke ich auf die Internetseite des Kartenhauses. Vielleicht kann man ja noch schnell online eine Karte kaufen. Irgendwie zu positiv gedacht, denn trotz spontaner Zückung meiner Kreditkarte weist mich das System darauf hin, dass es dafür schon zu spät sei. Ich solle doch bitte eine 01805…. Nummer zum Preis von 14 Cent die Minute anrufen.

17.20 Uhr

Bei diesem Kartenhaus nimmt niemand ab. Meine Finger trommeln ungeduldig auf den Schreibtisch. Ich höre mich selbst so etwas wie „ Ich will zu diesem Konzert“ brubbeln. ENDLICH – Die Erlösung: Ein netter Mann sagt mir, dass es noch 23 Karten gäbe. Ich schlucke – das ist eher weniger als ich gehofft habe. Er sucht mir netterweise noch eine Kartenvorverkaufsstelle in meiner unmittelbaren Umgebung heraus.




17.25 Uhr

Am Apparat der erwähnten Vorverkaufsstelle meldet sich eine unmotivierte, alte, unfreundliche, weibliche Stimme. Ich strahle sie durch das Telefon an, erzähle ihr wie gerne ich zu diesem Konzert möchte und dass ich gehört habe, es gäbe noch Karten. In gleicher Manier wie die Begrüßung ausfiel, höre ich nun „…wüsse sie nicht… könne sie nicht… habe sie schon so lange nicht mehr gemacht“. Außerdem würde sie um 18 Uhr schließen. Ich verzichte für den Moment darauf, sie durch das Telefon boshaft anzupöbeln und verabschiede mich mit „ Ich bin gleich bei Ihnen, schließen Sie bitte nicht vorher.“




17.30 Uhr

Ich renne aus dem Haus in Richtung U- Bahn Haltestelle. Gut, dass ich erst knappe zwei Wochen in Berlin wohnhaft bin und mich dermaßen gut auskenne… Mit hitzigen Wangen stiefele ich auf die Bahn zu, die mir just vor der Nase wegfährt. Mir entfährt ein unglaublich unweiblicher Fluch – der Herr neben mir schaut komisch. Nun heißt es sich acht Minuten voller innerer Unruhe gedulden. Das muss klappen, denke ich die ganze Zeit. Wenn das jetzt nicht klappt, drehe ich durch….

17.40 Uhr

Ich erreiche meine Endhaltestelle, die sich nur zwei Minuten Fahrzeit von meiner Ausgangsstation befand. Ich verzichte auch an dieser Stelle darauf vor Wut wahlweise Passanten anzuschreien. Heulen möchte ich trotzdem. Es ist dunkel, es gibt jede Menge Haupt- und Querstraßen und ich habe keine Ahnung wo ich hin muss. Entschlossen betrete ich eine Bäckerei und frage nach der Reinhardstraße. Kenne man nicht, hätte man nie gehört aber man wünsche mir viel Glück bei der Suche.




17. 45 Uhr

Die Zeit fließt dahin. Ich spreche einen Passanten an, der so aussieht, als könnte er helfen. „Reinhardstraße?“ Die sei doch am Hackeschen Markt. Mein Verzweiflungspegel steigt als mir plötzlich einfällt, dass ich ja die Rheinsberger Straße suche. Das muss ich in der Aufregung durcheinander gebracht haben. Der Mann gibt sein Bestes mir zu erklären, über welche große Kreuzung ich gehen müsse und welche Querstraßen beachtet oder nicht beachtet werden müssten. Ich höre nur noch „…lange Straße, nicht so einfach…“. Das hilft nicht. Entschieden breche ich ihn ab, wünsche noch einen schönen Abend und beschließe erstmal drauf loszurennen und den nächsten Passanten zu fragen. Schlimmer kann es ja kaum noch werden.





17.50 Uhr

Ich habe gefühlte 25 km zurückgelegt und zig rote Ampeln überquert. Zwischendurch wurden zwei ahnungslose Spaziergänger und ein Polizist von mir befragt. Ich gehe an jeder verwirrenden Abzweigung auf Nummer sicher. Die Zeit läuft mir immer noch davon. DA!!! Ich sehe das Schild auf dem der ersehnte Name Rheinsberger Straße steht. Doch die ist geteilt und vor lauter Schreck kann ich mich für keine Richtung entscheiden.





17.52 Uhr

Ich rufe die Frau in der Kartenvorverkaufsstelle an. Frage sie in aller Deutlichkeit nach der Hausnummer, die ich suchen müsste. Sie faselt etwas, was ich nicht verstehe. Ich wiederhole meine Frage nachdrücklicher. Sie faselt. Beim dritten Anlauf fragt sie patzig: „Wo sind Sie denn?“ Wo bitte soll ich denn sein? – In der Rheinsberger Straße natürlich. Ihre Antwort möchte ich an dieser Stelle im O- ton, in voller Länge und unkommentiert wiedergeben: „Aber die Vorverkaufsstelle ist doch in der Landsberger Allee. In der Rheinsberger Straße ist nur das Büro der Gesellschaft. Die Leute haben da um 17.00 Uhr Feierabend. Da kann ich Ihnen jetzt auch nicht helfen.“ Dass sie wahrscheinlich die letzte Person auf Erden ist, die mir bei irgendetwas helfen kann, habe ich weiß Gott schon bemerkt. Mit gepresster Stimme frage ich sie: „Was tun wir jetzt? Ich möchte zu diesem Konzert.“ Nachdem sie mir zum 100ten mal versichert, dass sie da jetzt auch nichts mehr tun könnte, lege ich auf. Wortlos.




17.55 Uhr

Es ist so weit: Ich schreie einen hilflosen, unschuldigen Autofahrer an, dessen Pech es ist, dass er etwas zu schnell um die Kurve biegt. Ich kenne eine Menge Kraftausdrücke. Er nun auch.




18.00 Uhr

Plan B gab es nicht. Plan C ist jetzt: trotzdem hinfahren. Also: wieder nach Hause, Sachen packen und los. Kurz vor 19 Uhr erreiche ich den Rosa Luxemburg Platz. Während ich mich da wieder hilflos umsehe, spricht mich ein Mann an. Ob ich zu eben jenem Konzert wolle? Perfekt. Das ist mein Mann, an den halte ich mich. In den nächsten fünf Minuten wird er allerdings nicht müde mir wieder und wieder zu versichern, dass das Konzert ausverkauft sei. Mein Vorrat an Kraftausdrücken ist für diesen Tag eindeutig erschöpft. Ich schweige demnach.



18:45 Uhr.

Die Schlange ist lang. Ich werde NIE IM LEBEN eine Karte bekommen. Diesmal gibt es einen Plan B, denn schließlich habe ich an der Universität Rostock studiert, da herrschen ähnliche Zustände. Das Motto nun heißt: stell dich einfach vorne an und ignoriere den Rest der Schlange, der dich töten möchte. Zwei Mädels, denen ich an dieser Stelle noch mal meinen ausdrücklichen Dank aussprechen möchte, gewähren mir Asyl an ihrer Seite.



19.15 Uhr

Der Einlass beginnt, mit Restkarten sieht es ganz schlecht aus. Außerdem gibt es dieses absurde System, dass man erst seine Garderobe abgeben müsse, bevor man den Saal betreten darf. Meine Güte, so langsam habe ich die Nase voll von Hindernissen. Ich drücke einem der Mädels Geld und Jacke in die Hand und bewege mich schnurstracks zur Abendkasse. Ohne ein weiteres Wort oder die Antwort abzuwarten reiche ich meinen Schein hinüber. Ich möchte nur noch diesen dämlichen Stempel. LOS. JETZT!

Dieses Mal geht alles gut – welch ein Wunder.



20.15 Uhr


Das Konzert beginnt und entschädigt wirklich für alle Mühen. Für die nächsten 2,5 Stunden gibt es nur noch meinen Sessel, den Sänger und das beruhigende Glas Wein in meiner Hand.