Donnerstag, 16. Oktober 2008

Geschichte mit Emotionen zum Lachen, Weinen und Traurig sein.

Sein Haar war an den Seiten schon leicht ergraut. Die Brille rutschte ihm oftmals von der Nase und gelegentlich strich er sich nervös über den Kopf. Seine Zähne konnte man nur erkennen, wenn er aus vollem Herzen lachte.
Ein Frauenschwarm?! Vielleicht. Oder: sogar schlechthin.
Wer war sie? Man könnte sie als präsent bezeichnen. Schön, auch das ist wohl eine zutreffende Angabe. Konstanter Weise hatte sie alle seine Kurse besucht. Wer war sie? Sie war seine Studentin. Seine immer präsente Studentin. Als die Idee publik wurde, er würde eine Gruppe leiten, die sich der Literatur widmete, nahm sie es zur Kenntnis. Nicht mehr und nicht weniger.
Er war immer reserviert zu ihr. Ironisch und ablehnend. Mit der Zeit hatte sie sich an diesen Zustand gewöhnt, doch was es sollte, konnte sie nicht ausmachen. Es lag höchstwahrscheinlich an ihrer forschen, direkten Art. Das wäre möglich.
Als sie ihn bat, ihre Abschlussarbeit fachlich zu betreuen, schlug ihr das Herz bis zum Halse. Sie trat in sein Büro. Er sagte zu. Doch was blieb war Stille.
So freute sie sich auf jeden Montag. Ihn so anders zu erleben, als er sonst war. Es kam sogar gelegentlich vor, dass er ein persönliches Wort an sie richtete und sie lobte. Dann schlug ihr Herz für einen Moment schneller. Doch diese Momente verflogen und keiner ging den Anderen sonst in irgendeiner Weise an.
Bis zu dem Tag, an dem sie sich in seinem Büro einfand, um ein ausgewähltes Problem zu besprechen. Sie recherchierten und analysierten mit geneigten Köpfen über dem Buch. Die Lösung war greifbar und doch hatte keiner der beiden sie in Worte fassen können. Sie blickten zur gleichen Zeit auf, für eine Sekunde berührten sie sich und waren gleichermaßen eingenommen von diesem Schreckensmoment. Solche Nähe war da noch nie.
Die immer Präsente ging davon, voll Verwirrung. Der nächste Montag kam und voller Unsicherheit war sie immer noch. Nach vollbrachter Arbeit, die sich außergewöhnlich normal anfühlte, fand er sie beim Packen vor. Ein Blick – ein Lächeln und soviel Glatteis zwischen den Beiden. Die Konsequenzen, die so deutlich unaussprechbar zwischen ihnen standen.
„Kann ich Sie noch ein Stück mitnehmen?”, überwand er sich schließlich. Kein einfacher Schritt, aber sie nahm ihn dankbar entgegen.
Soviel war zwischen ihnen, über die Jahre gesammelt. Doch sollte man auf einmal damit herausbrechen? Stille im Wagen, Rauschen in den Köpfen. Ein erster Satz löste diesen Zustand. Dann war da Lachen und Erzählen. Wie wenig man doch voneinander wusste und sich doch so hingezogen fühlte zum Gegenüber.
Er verabschiedete sich nach einer Weile mit einem sanften Kuss auf die Stirn. Mehr brauchte es nicht, das war schon viel. So vergingen die Wochen mit vielen warmen, sanften, vertrauten Lächeln und montäglichen Gesprächen.
Es war ein Dienstag, als sie wiederum seinen fachlichen Rat benötigte. Sie wartete bereits eine Weile vor seinem Büro, als er endlich erschien. Wieder eines dieses vertrauten Lächelns. Nicht mehr. Drinnen nahm er sie allumfassend in den Arm. Der perfekte Augenblick. Der Wohlfühlmoment. Keine Worte mehr.
Als er sich jedoch neigte, seine Lippen die ihrigen suchten, da wich sie zurück. War es zu weit gegangen? Das Lächeln verschwand und die unausgesprochene Unsicherheit kehrte zurück. Sie kehrte um, verließ den Raum und hätte doch nichts lieber getan, als zu bleiben. Ziellos lief sie durch die Gegend, die Musik ganz tief im Ohr, doch auch die half ihr nicht Denken. Kerzen und Wärme in den Fenstern, doch all das ging sie nichts an. Keine der schönen Fassaden konnte sie anrühren. War es denn ein Wunder? Es war keine Einbildung. Auch er fühlte.
Man kann nicht sagen, welche Zeit vergangen war, als sie augenblicklich zu ihm zurückkehrte. Sie stürmte förmlich, um ihm den Vorschlag eines Spazierganges zur späteren Stunde zu unterbreiten, den er dankend annahm.
Ihre Wohnung war kalt und leer und es fühlte sich an, als hätte sie Stunden dort gesessen wo nur die Musik, die an ihr Ohr drang, sie beruhigte. Nach einem prüfenden, schon fast analysierenden Blick in den Spiegel stellte sie fest, dass sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war. Wie sollte sie ihren Knien erklären, später die Fassung zu behalten? Voller innerer Unruhe begab sie sich zum vereinbarten Treffpunkt. Kalt war es. Ungemütlich dazu. Kein gutes Zeichen. Wie sehr hätte sie sich an diesem Punkt ihres Lebens Musik gewünscht. Musik versichert, dass alles gut wird.
Er erhob sich langsam und unsicher von der Bank. So unsicher sah sie ihn nie. Sie streckte den Arm aus, zuletzt die Finger. Er tat es ihr nach und so berührten sich ihre Fingerspitzen. Den Moment hat sie vergessen und doch zutiefst gefühlt. Es drang an die Oberfläche, die zärtlichen Berührungen wollten kein Ende nehmen. Sie verglich es später mit einem blinden Menschen, dem es schlussendlich gestattet wird, zu erfühlen wie sein Gegenüber aussieht.
Welch Gefühl. Welch gefühlte Nähe. Kurz bevor sich ihre Lippen das erste Mal berührten, hielten sie inne. Aus Angst, aus Scham und mit der Gewissheit, dass dieser Moment vergehen würde.
Es war ein gutes Gefühl. Besser als sie es angenommen hatten. Kaum zu glauben, dass sie es schafften, sich danach ein befreiendes Lächeln zu schenken.
Sie drehte den Schlüssel herum und die Tür gab einen kurzen Knacklaut von sich. Ihre Schritte hallten im Flur, auch wenn sie sich bemühte nur mit dem Ballen den Boden zu berühren. Im Zimmer dämmte sie das Licht, de Musik ihres Vertrauens erklang. Langsam bewegte sie sich zum Bett um dort den Kopf an seine Brust zu legen. Wieder einmal beschlich sie das Gefühl angekommen zu sein. Doch was war das Ziel?
Er und sie zusammen – das war das Ziel. Sie strich ihm sanft über das Haar, so wie es sonst seine Angewohnheit war.
„Hey…“, begann sie schließlich. Er verschloss ihr die Lippen mit einem sanften Kuss. Sie hatten in ihren Gesprächen die Welt neu erfunden, gelacht und geweint, doch gescheut einander zu betrachten, wie Liebende es eben taten. An diesem Abend jedoch schien die Scheu überwunden zu sein. Er kniete sich nieder und vergrub sie in seinen weichen Armen. Sie konnte nicht anders, als sich sofort geborgen zu fühlen. Als sie mit ihrem Fingern über seinen Rücken glitt, durchfuhr ihn ein Schauer. Sie mochten was sie sahen, waren sogar vollkommen vernarrt. Sie küsste seinen Nacken. Sie würden sich geliebt haben, noch bevor diese Nacht verging und es nie wieder missen wollen.

Sie öffnete die Augen. Es war einer dieser Tage, an dem man durch das Fenster einen blauen Himmel erblicken konnte. Möwengekreische und Studentengerede drang an ihr Ohr. Wo war die Musik?
Er saß ihr gegenüber, doch so weit entfernt, dass sie nicht in seine Augen blicken konnte – schwer damit beschäftigt Notizen anzufertigen. Wer war sie? Seine immer präsente Studentin.
Die Realität, in der sie vorzog sich nicht zu befinden, traf sie.
Sie suchte ihre Sachen zusammen, langsam, denn nichts trieb sie. Er stand dort, beschäftigt damit die Fragen der Anderen zu beantworten. Der Wunsch, er möge sie ansehen, war unbändig stark, doch sinnlos.
Er strich sich durch sein Haar, sie atmete tief ein und verließ den Raum mit einem höflichen „Auf Wiedersehen“, dem man keiner ihrer Gedanken anmerkte.

06.12.2007

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