Donnerstag, 16. Oktober 2008

Nachdenken über Chris McCandless



Das Buch In die Wildnis- Into the Wild ist zutiefst ergreifend und doch kann man im ersten Moment nicht ausmachen warum das genau der Fall ist. Im Grunde ist es die Geschichte eines Spinners, der auszog das Fürchten zu lernen. Doch er erfuhr den Tod. Für jemanden, der sich etwa im gleichen Alter wie Chris befindet, ist das Buch ein Anlass, alt bewährte Lebenskonzepte in Frage zu stellen. An vielen Stellen in Krakauers Bericht möchte man anstreichen, Seiten knicken oder einfach nur einen Moment verharren. Alex Supertramp ist so anders. Mit Sicherheit, hätte man seine Geschichte nicht schwarz auf weiß vor sich, man würde diesem Jungen in der unsrigen Realität keinerlei Beachtung schenken. Ihn unter „Spinner“ verbuchen. Vielmehr noch würde man den Kopf darüber schütteln, warum da jemand mit Karriere, mit Reichtum nichts mehr anzufangen weiß.
Ein Mensch, der seine Ideale aus Büchern entnahm. Kluge Bücher, ohne Zweifel. Er tat was viele andere auch tun. Aber ich kann nicht daran glauben, dass ihm seine Ideale in seinen einsamsten Stunden halfen. Dass er ihnen treu bleiben wollte. Ich gehe sogar davon aus, dass er sie dann und wann zu einem gewissen Grad verflucht hat. Ich kann nicht glauben, dass in ihm nie die Sehnsucht brannte von einem Menschen in den Arm genommen zu werden, stellt er doch am Ende selbst fest, dass es nur wahres Glück gibt, wenn man es teilt. Gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen sind die schönsten.


Seine Art der Erfahrungen sind ohne Zweifel reizvoll zu lesen. Mitunter erwischt sich der eine oder andere dabei die Frage zu stellen: Wie wäre das, so zu leben? Aber es bleibt dieses seltsame Gefühl. Das Gefühl des faden Nachgeschmacks. Ich glaube es war Franz, an den Chris schreibt, dass wir uns in unseren tiefsten Wesenszügen nicht trauen aus dem gewohnten Weg zu fahren.
Im Grunde bleibt mir die Frage, was an gewohnten Wegen so fatal ist, zu offen. Warum werden die Menschen, die alles so anders machen wollen als der „Rest“, als „Besonderlinge“ angesehen?
Die Menschen haben sich entwickelt. Sie haben erfunden und geschaffen. Und zwar aus jenem Grund, dass ihnen das Leben, in das Chris so unbedingt zurückkehren wollte, zu beschwerlich erschien. Ist es also gerechtfertigt sich gegen Neuerungen auf diese Art und Weise zu wehren, wenn sie doch eigentlich das Ergebnis eines natürlichen Entwicklungsprozesses waren? Die Frage scheint mir auch in dem Zusammenhang interessant, dass in Chris’ Sachen eine leere Tube Colgate gefunden wurde. Ist das Ursprung? Ist das wildes Leben?
Im Grunde kann ich einen Teil seiner Beweggründe verstehen. Der Gesellschaft den Rücken zuzudrehen kann befreiend sein. Wir alles tun das. Auf unsere eigene Art und Weise. Aber wie kann man sich mit sich selbst auseinandersetzen, wenn man von nichts, außer sich selbst umgeben ist? Man schwimmt in seinem Selbst. Niemand, der einem einen Spiegel der anderen Perspektive vor Augen führen kann. Das empfinde ich als befremdlich, als bedrückend und aussichtslos. Man spricht ja nicht zu Unrecht davon, dass Menschen eigenbrötlerisch werden, wenn sie eine Zeit lang nur von sich selbst umgeben sind. Diese Menschen verlieren den Blick für sich selbst. Sie glauben zu erkennen, was sie nicht erkennen können, solange sie ihre Erkenntnis nicht in einen Kontext stellen. Den Kontext Gesellschaft.

Ich habe während des Lesens die Erfahrung gemacht, dass ich eine gewisse Faszination für die Menschen entwickelte, die Chris auf seinen Reisen traf. Zugleich frage ich mich, warum diese Art von Mensch ist, die eine Art der Faszination ausübt?! Die einfachen, irgendwie heruntergekommenen Leute. Nicht solche, die es auf der Karriereleiter zu „etwas gebracht haben“. Und da findet er sich: der Widerspruch. In der Realität würde jeder an diesen Leuten vorbeischauen, beschäftigt damit ihr eigenes Leben gut auszurichten. Diese Menschen haben ja laut Konvention zu nichts gebracht. In einem Bericht, wie dem von Krakauer, faszinieren sie uns. Ich habe mir diese Begeisterung Folgendermaßen erklärt: Wir bewundern sie für das, was sie entbehren, ohne dass sie im eigentlichen Sinne ihre Entbehrungen wahrnehmen. Wir, auf der anderen Seite, wissen und fühlen, dass uns der Beobachterposten vollkommen genügt. Trotz aller Verehrung und Faszination können die wenigstens von uns auf diese einfache Art und Weise wirklich glücklich werden. Wir brauchen genau das, von dem Chris befunden hat, er würde es nicht mehr benötigen:
Wir brauchen Sicherheit. Wir leben und lieben die Gewohnheit, die uns zu eben jener Sicherheit verhilft. Wir brauchen Pläne. Pläne, die Richtung weisend sind. Sodass wir am Ende unseres Lebens das „Buch“ zuschlagen mit den Worten: Ich habe alles vollkommen richtig gemacht.
Für Chris war das anders. Ich schließe mit den Gedanken, dass er sich nicht damit abfinden wollte, dass einem das prinzipielle Glücklichsein in der heutigen Gesellschaft so leicht gemacht wird. Er wollte sich sein Glück erkämpfen, es vielleicht auf eine andere Art und Weise fühlen, als wir es tun. Ob er diesem Ziel jemals nahe gekommen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich nehme es jedoch an. Ich wünsche es ihm.

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